· 

Neues zu Gerwig von Volmarstein, dem legendären Gründer von Waldsassen

Gerwig erhält vom hl. Bernhard die Zisterzienserkukulle – Fresko von Johann Jakob Stevens von Steinfels im Chor der Stiftsbasilika Waldsassen (kurz vor 1700).
Gerwig erhält vom hl. Bernhard die Zisterzienserkukulle – Fresko von Johann Jakob Stevens von Steinfels im Chor der Stiftsbasilika Waldsassen (kurz vor 1700).

Der „Fundacio latinalis“ zufolge geht die Zisterze Waldsassen auf die Conversio eines Ritters Gerwicus (in der volkssprachlichen Fundatio eingedeutscht zu „Gerweich“) zurück, der von der kölnischen Burg Volmarstein (heute ein Ortsteil von Wetter an der Ruhr) stammte. Nach einem Turnierunfall, bei dem er vermeintlich seinen Herzensfreund Markgraf Diepold III. von Vohburg getötet hatte, wandte er sich von den Eitelkeiten der Welt ab, wurde erst Benediktiner in Siegburg, dann nach einer Etappe als Ratgeber am bischöflichen Hof in Regensburg Kopf einer Eremitenkommunität im Nordwald. Schließlich bat er Bernhard von Claiurvaux persönlich um Mönche für die Errichtung eines Klosters, erhielt von ihm aber lediglich eine Kukulle als Zeichen seiner künftigen Ordenszugehörigkeit überreicht. Zisterzienser kamen dann aus Volkenroda an die Wondreb und wohl 1132 wurde die Abtei gegründet.

Historische Person oder literarisches Konstrukt?

Gegenüber der Historizität dieses Gerwig herrscht heute weitgehend Skepsis (s. Busl), da außerliterarische Belege für seine Existenz fehlen. Methodisch ist dem Problem allenfalls durch eine kritische Sichtung der Erzählelemente beizukommen (Schrott 2003, 27ff.). Als verdächtig haben jeweils Aussagen zu gelten, die motivische Parallelen zu älteren Texten aufweisen. Davon gibt es in der „Fundacio“, der Basisquelle über Gerwig, recht viele. Sie ist von stark kompilatorischen Zügen geprägt. Auch wenn dadurch nicht die gesamte Erzählung historisch zwingend falsifiziert wird, ist ihr Charakter als Motiv-Montage überdeutlich (Schrott 2020). Zu motivischen Parallelen und möglichen Einflüssen sind in letzter Zeit einige neue Beobachtungen vorgelegt worden.

Gerwig von Volmarstein und andere kölnische Ministerialen

Eine zweigliedrige Biographie – zuerst ein weltlich-ritterliches Leben, dann ein asketisch-geistliches – teilt Gerwig von Volmarstein mit anderen Akteuren der kölnischen Ministerialität (s. Schulz). Karl von der Salzgasse (2. Hälfte des 12. Jh. – 1213/14) führte gemäß einer Überlieferung aus dem frühen 13. Jahrhundert erst ein glanzvolles Leben als Ritter, erkannte dann aber die „vanitas“ dieser Lebensweise, trat ins Kloster Himmerod ein und wurde später Abt in Villers in Brabant. Ähnliches wird außerdem vom hl. Eckenbert oder Erkenbert, dem Gründer des Chorherrenstifts Frankenthal erzählt sowie von Peter von der Brücke, einem Abt in der Zisterze Weiler-Bettnach. Dass diese biographische Struktur besonders in der zisterziensischen Überlieferung akzentuiert wurde, könnte auf Bernhard von Clairvaux zurückgehen, der in „De laude novae militiae“ das weltliche Rittertum scharf kritisierte.

Waldsassen und die Prämonstratenser

Für Feistner steht eine Datierung der Waldsassener Fundatio in das zweite Jahrzehnt des 14. Jh. fest. In dieser Zeit bestanden besonders enge Verbindungen zwischen der Nordgau-Zisterze und dem Prämonstratenserkloster Mildenfurth. Dessen Konvent plante im Jahr 1313 eine Vereinigung mit den Waldsassener Mönchen (die aber nicht zustande kam). So könnten prämonstratensische Narrative in die Waldsassener Gründungsgeschichte eingeflossen sein. Gerwigs Lebenslauf wäre dann ein Echo auf die Conversio Gottfrieds von Cappenberg (1096/97–1127), der sich nach einem Sturz vom Pferd zeitweilig in der Abtei Siegburg aufhielt und 1122 seinen Stammsitz (übrigens nur etwa 50 km von Volmarstein entfernt) dem Prämonstratenserorden überließ und als Laienbruder in den Konvent eintrat.

Waldsassen und Banz

Einen Turnierunfall als Anlass einer Klostergründung findet man auch in der Banzer Gründungsgeschichte, die um 1300 niedergeschrieben wurde. Hier soll im 11. Jahrhundert die tödliche Verletzung des Markgrafen Hermann von Habsberg-Sulzbach dessen Gattin Alberada bewogen haben, nach Rom zu pilgern und ein Begräbnis in geweihter Erde für ihn zu bewirken. Bedingung dafür war die Gründung eines Klosters. Schließt man sich einer Spätdatierung der Waldsassener Fundatio an, könnte der Banzer Text als Vorlage gedient haben (s. Schrott 2020).

Wald-Narrative

Christian Malzer hat sich in letzter Zeit mehrfach mit den Wald-Narrativen in Klostergründungsgeschichten beschäftigt. In zahlreichen Texten stellt der „wilde Wald“ eine Bewährungslandschaft dar, in deren Gefährdungen sich die Tugenden der Protagonisten zu entfalten hätten, sowie als Raumschwelle zwischen Diesseits und Jenseits. In dieser Weise fungiert der Wald auch in der Waldsassener Fundatio. 

 

Lit.:

Busl, Adalbert: Die Gründung des Klosters Waldsassen, in: Oberpfälzer Heimat 55 (2010) 37–60.

Feistner, Edith: Typen von Klöstern und Klostergründungserzählungen. Mildenfurth und Waldsassen im Vergleich, in: Fassbender, Christoph/Mierke, Gesine (Hgg.): Das Vogtland, die Vögte und die Literatur des Mittelalters (Maecenas 2) Stuttgart 2020, 73–97.

Malzer, Christian: Wald- und Jagdmotive in den Gründungslegenden altbayerischer Benediktinerklöster, in: Forum Forstgeschichte. Festschrift zum 25-jährigen Bestehen des Arbeitskreises Forstgeschichte (Hg. Joachim Hamberger) (Forstliche Forschungsberichte München 216), Landshut 2017, 96–102.

Ders: (Vor)klösterliche Kulturlandschaft. Der Ettaler Gründungsmythos vom wilden Wald als Identitäts- und legitimitätsstiftende Erzählung, in: Die Ettaler Klosterwälder im Wandel der Geschichte. Geschichten, Gestalten, Geschichte (Hg. Klaus Pukall) (Ettaler Manndl 93, Sondernummer), Murnau 2018, 36–175, hier: 97–103.

Ders.: Über die Landschaft lesen – Das Waldsassener Stiftland als zisterziensische Bewährungs-, Kultur- und Erinnerungslandschaft. Reading the Landscape – The Monastic Lands of Waldsassen as a Cistercian Probational, Cultural and Memorial Landscape, in: Gunzelmann, Thomas/Kastner, Birgit (Hgg.): Vielfalt in der Einheit – Zisterziensische Klosterlandschaften in Mitteleuropa. Diversity in Unity – Cistercian Landscapes in Central Europe. Fachtagung zum Europäischen Kulturerbejahr 1.–3. Juni 2018 in Ebrach/Burgwindheim. Symposium for the European Year of Cultural Heritage 1.–3. June 2018 in Ebrach/Burgwindheim, Lindenberg 2019, 123–131.

Schrott, Georg: „Der unermäßliche Schatz deren Bücheren“. Literatur und Geschichte im Zisterzienserkloster Waldsassen (Studien zur Geschichte, Kunst und Kultur der Zisterzienser 18) Berlin 2003.

Ders.: Assimilieren – kompilieren – akkumulieren. Erzählmechanismen in der spätmittelalterlichen Literatur des Klosters Waldsassen, in: Das Vogtland, die Vögte und die Literatur des Mittelalters (Hgg. Christoph Fassbender/Gesine Mierke) (Maecenas 2) Stuttgart 2020, 99–121.

Schulz, Knut: Karl von der Salzgasse (gestorben 1213/14). Kölner Ritterbürger und Abt des Zisterzienserklosters Villers-en-Brabant, in: Rönz, Helmut/Andre, Elsbeth (Hgg.): Rheinische Lebensbilder 20, Wien – Köln – Weimar 2019, 7–27.

 

Abb.: Ferdinand Sperber, Waldsassen.

 

Kontakt:

Hinweis: Bitte die mit * gekennzeichneten Felder ausfüllen.