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Great Spa towns of Europe – Überlegungen zum Anteil der Oberpfälzer Klöster an einem Phänomen der europäischen Kulturgeschichte

Ein Gastbeitrag von Christian Malzer

Abb. 1: Grundriss und Prospect des Welt-berühmten Carlsbad, 1733.
Abb. 1: Grundriss und Prospect des Welt-berühmten Carlsbad, 1733.

Im Jahr 2021 wurde unter dem Titel Great Spa towns of Europe (Bedeutende Kurstädte Europas) ein Zusammenschluss von elf europäischen Kurstädten in die Liste der UNESCO-Welterbestätten eingetragen. Der sieben Länder umfassende Antrag wurde v. a. dafür prämiert, dass die beteiligten Orte ein außergewöhnliches Zeugnis des europäischen Kurphänomens darstellen, welches seine Blütephase zwischen etwa 1700 und 1930 erlebte. Die vormoderne Reise- und Kurgesellschaft wird im Antrag als komplexes urbanes, soziales und kulturelles Phänomen der europäischen Geschichte sowie als wichtige Etappe in der Entwicklung des modernen Tourismus gewürdigt.

Mönche und Chorherren als Kurgäste – Das Beispiel Karlsbad

Da die drei partizipierenden tschechischen Kurorte Franzens- (Františkovy Lázně), Karls- (Karlovy Vary) und Marienbad (Mariánské Lázně) unweit der historischen Klosterlandschaft der Oberen Pfalz liegen, ließe sich mit einiger Recherche auch die Frage beantworten, welchen Anteil die Mitglieder der im 17. Jahrhundert wiederbegründeten Oberpfälzer Konvente am frühneuzeitlichen Kurwesen nahmen und welche Netzwerke durch die Kurreisen gepflegt wurden. Da über das Onlineportal Porta Fontium schon seit einiger Zeit die Kurlisten aller drei Bäder als Volldigitalisate zugänglich sind, sind die zentralen prosopographischen Quellen für eine solche Fragestellung komfortabel zugänglich.

Für Karlsbad (s. Abb. 1) beispielsweise lassen sich die Kurgäste dadurch bis ins Jahr 1686 zurückverfolgen. Während die ersten Jahrgänge der Listen noch vornehmlich adlige Reisegesellschaften aus dem sächsischen Raum dokumentieren, finden sich im 18. Jahrhundert dann zunehmend Welt- und Ordensgeistliche als Kurgäste dokumentiert. Wenig überraschend stammten die Ordensmitglieder v. a. aus dem böhmischen Umfeld (z.B. Tepl/Teplá, Strahov, Chotieschau/Chotěšov, Ossegg/Osek, Plass/Plasy, Königsaal/Zrasblav, Kladrau/Kladruby, Kaaden/Kadaň). Die Gästeliste des Jahres 1747 (s. Abb. 2) illustriert dies exemplarisch: Nach einem ersten Eintrag eines Weltgeistlichen am 6. April folgen danach drei Ordensgeistliche (zwei Prämonstratenser und ein Benediktiner).

Neben dem Anreisedatum und dem Namen des Gastes wird in den Karlsbader Listen i. d. R. auch die Unterkunft angegeben, sodass sich Rückschlüsse zu gemeinsamen Aufenthalten gewinnen ließen.

Speinsharter Prämonstratenser als Kurgäste in Karlsbad

Besonders die zahlreichen Prämonstratenser aus der nur knapp 40 Kilometer entfernt gelegenen Abtei Tepl verwundern kaum. Mit Blick auf die Obere Pfalz ist auffällig, dass hier ebenfalls die Prämonstratenser aus Speinshart besonders häufig in den Karlsbader Kurlisten erscheinen. 

Am 14. Mai 1797 ist beispielsweise die Ankunft von Abt Dominicus II. Wagner (1794–1803) bezeugt. Wie der Eintrag in der handschriftlichen Gästeliste bezeugt, war der Kuraufenthalt jedoch nicht allein den Klosteroberen vorbehalten. Unmittelbar an den Abt angereiht und im selben Quartier findet sich der Name eines weiteren Speinsharter Chorherren, Augustin Klier (s. Abb. 3).

Der 1744 in Weiden geborene und 1816 in München verstorbene Franz Augustin Klier darf sicherlich zu den umtriebigsten und talentiertesten Mitgliedern der Speinsharter Chorherrengemeinschaft in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gezählt werden. Seine Ausbildung erhielt er im Amberger Jesuitenseminar, ehe er 1762 in Speinshart seine Profess ablegte und 1771 zum Priester geweiht wurde. Wie ein 1772 gedrucktes Thesenblatt belegt, mehrte er sein Wissen auch im Rahmen des Hausstudiums, dem Ulrich G. Leinsle zuletzt eine eingehende Untersuchung gewidmet hat. Neben seinem Renommee als Musiker ist Klier heute v. a. für seine historiographischen Notizen bekannt, die er seit 1792 als Inhaber der Klosterpfarrei Kastl (Landkreis Tirschenreuth) verfasste. 2014 wurden seine Wetter- und chronikalischen Aufzeichnungen zur Grundlage eines Dokumentarfilms.

Mit Blick auf die Karlsbader Kurlisten gibt sich Klier zwischen 1796 und 1798 auch als dreimaliger Kurgast zu erkennen. An seinem Beispiel lässt sich ablesen, dass Speinsharter Prämonstratenser nicht nur mehrere Jahre in Folge in Karlsbad logierten, sondern dies meist zur selben Jahreszeit taten. Ob Klier seine teils mehrwöchigen Kuren mit Abstechern ins benachbarte Tepl verband oder während der Kuraufenthalte Besuch von dort empfangen hat, wäre noch genauer zu eruieren. 

Auf die enge Verflechtung von Kurreisen zu politischen, ökonomisch oder kulturellen Zwecken deutet ein Eintrag in den Speinsharter Annalen zum Jahr 1752 hin: „Am 11. [Juni] kehrten bei uns zu der Herr Graf von Kreuth, Kurfürstlicher Rentmeister in Amberg, und Freiherr von Berchem, Vizedom, Statthalter oder Rentmeister in Burghausen, die nach Karlsbad reisten. Es war auch der Herr Hauptpfleger von Schwandorf da. Am 12. [Juni] reisten sie morgens nach Karlsbad ab. Der Hochwürdige Herr Abt begleitete sie. Am 17. [Juni] kehrte er allein zurück.“ (Speinsharter Annalen, 195) (s. Abb. 4).

Leider fehlt die Kurliste zum Jahr 1752, sodass keine Rückschlüsse dazu möglich sind, ob der Abt und die kurfürstlichen Amtsträger auch in einem gemeinsamen oder benachbarten Quartiert logierten. Berücksichtigt man zudem die Reisezeit von Speinshart nach Karlsbad und wieder zurück, kann der damalige Abt Dominicus I. Lieblein (1734–1771) ohnehin nur kurzzeitig in der Kurstadt zugegen gewesen sein. 

Hier bietet jedoch ein Eintrag zu Kliers Besuchen weitere Indizien für eine enge Verzahnung von Kuraufenthalt und der Pflege politischer Netzwerke. Im gedruckten Verzeichnis der Kurgäste von 1798 finden sich unter den Nummern 174 und 175 nämlich der kurpfalzbaierische Rat der Stadt Kemnath namens Duschl und Augustin Klier direkt nacheinander unter demselben An- (11. Juni) und Abreisedatum (16. Juli), sowie demselben Quartier (bei den sieben Planeten, auf dem Markte“) verzeichnet (s. Abb. 5). Man reiste also gemeinsam an und ab und logierte über einen Monat gemeinsam.

Fazit und Ausblick

Die an dieser Stelle nur schlaglichtartig mögliche Zusammenschau von Kurlisten und historiographischen Quellen versucht am Beispiel Speinsharts zu illustrieren, dass durchaus weiterführende Einblicke zur eingangs aufgeworfenen Fragestellung möglich wären. Diese ließen sich sicherlich durch die Hinzuziehung weiterer zeitgenössischer Quellen (z. B. Kloster- und Pfarreirechnungen, Egodokumente etc.) weiter vertiefen. 

Welchen Anteil die Konvente der wiederbegründeten Oberpfälzer Abteien am vormodernen Kurwesen hatten, kann nur durch weiterführende Recherchen ergründet werden. Erst dann wird auch ein Urteil darüber möglich sein, ob die dokumentierten Kuraufenthalte der Speinsharter Prämonstratenser die Regel oder die Ausnahme unter den Oberpfälzer Konventen sind.

Lit.:

Annales Speinshartenses. Die Jahrbücher der Prämonstratenserabtei Speinshart 1661–1770 (Hg./Übers. Ulrich G. Leinsle) (Speinshartensia 3) Pressath 2016.

Leinsle, Ulrich G.: „impune disceptant theologi“. Der Wandel der Disputation in der Spätzeit des Hausstudiums der Prämonstratenserabtei Speinshart, in: Dichtung, Gelehrsamkeit, Disputationskultur. Festschrift für Hanspeter Marti zum 65. Geburtstag (Hg. Reimund B. Sdzuj/Robert Seidel/Bernd Zegowitz) Köln 2012, 650–671 (mit weiterführender Literatur).

Art. Augustin Klier, in: Lipowsky, Felix Joseph: Baierisches Musik-Lexikon, München 1811, 148f.

Art. Klier, Franz Augustin, in: Meusel, Johann Georg: Das gelehrte Teutschland oder Lexikon der jetzt lebeden teutschen Schriftsteller, Bd. 18, Lemgo 1821, 360f.

Schemmel, Bernhard (Hg.): Die graphischen Thesen- und Promotionsblätter in Bamberg, Wiesbaden 2001, 290, Nr. 119.

Abb.:

1: Staats- und Universitätsbibliothek Bremen: https://gauss.suub.uni-bremen.de/suub/hist/servlet/servlet.hmap?id=248374.

2: Porta Fontium: https://portafontium.eu/iipimage/30380011/soap-kv_00075_karlsbader-kurliste-1747-i1076_0030?x=257&y=170&w=982&h=457.

3: Porta Fontium: https://portafontium.eu/iipimage/30380052/soap-kv_00075_karlsbader-kurliste-1797-i1117_0090?x=291&y=109&w=722&h=501.

4: Österreichischen Nationalbibliothek: https://proxy.europeana.eu/92062/BibliographicResource_1000126026337?view=http%3A%2F%2Fwww.bildarchivaustria.at%2FPreview%2F3511487.jpg&disposition=inline&api_url=https%3A%2F%2Fapi.europeana.eu%2Fapi.

5: Porta Fontium: https://portafontium.eu/iipimage/30380063/soap-kv_knihovna_karlsbader-kurliste-1798_0140?x=-319&y=0&w=1639&h=670.

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