· 

„VIGILIÆ Betlehemiticæ“ – Szenische Weihnachtsgrüße aus dem barocken Michelfeld

„1. Hirte: Ich werde ein sehr schönes junges Schäfchen geben.

2. Hirte: Und ich werde zehn Paar frische Eier geben.

3. Hirte: Und ich werde viele süße rote Äpfel geben.

4. Hirte: Und ich werde zahllose schön reife Nüsse geben.

1. Hirte: Und ich werde eine große Menge Mehl geben.

2. Hirte: Und ich werde einen großen Batzen Butter geben.

3. Hirte: Und ich werde Milch in Überfluss geben.

4. Hirte: Und ich werde einen großen Krug Wein geben. ...“

Nach dem immer gleichen Muster werden noch etliche weitere Gaben angekündigt: eine Henne mit Küken, zwei Kühe mit Kälbern, drei Stuten mit Fohlen und sechs Ziegen mit Zicklein, eine Hirtenflöte, ein Federkissen, eine Wolldecke und ein Wachhund. Schließlich sprechen alle im Chor: „Et ego dabo omnia.“

Das klingt nach einem der schlichten Krippenspiele, die – mit kindgerechten, gut fassbaren Texten – in der Weihnachtszeit zu Tausenden aufgeführt werden und wurden. Allerdings stehen diese Hirten nicht einfach an der Krippe, sondern vor „Bona Voluntas“, der Allegorie des „Guten Willens“. Sie ist es, die das Jesuskind „wie einen Schatz“ hält und vorzeigt. Was in dem zitierten Ausschnitt nach einem naiven, simpel strukturierten Stück klingt, hat doch größere Tiefe. Schließlich handelt es sich um ein barockes Ordensdrama aus dem letzten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts, nämlich um die „VIGILIÆ Betlehemiticæ“, also die „Betlehemitischen Nachtwachen“ aus der Feder von Wolfgang Rinswerger OSB, zu dieser Zeit Professor und Pater comicus am akademischen Gymnasium in Salzburg.

 

Die Handlung

Nachdem eingangs die Fama verkündet hat, dass in Betlehem ein Schatz aus dem Himmel auf die Erde gefallen sei, bittet die personifizierte Stadt Betlehem die Allegorien der Erde, der göttlichen Gnade und der göttlichen Vorsehung um die Verteidigung ihres „Thesaurus“. In der ersten Wache kommt der Erde und den vier Erdteilen die Aufgabe zu, den Schatz gegen den Himmel und die Sterne zu verteidigen, die ihn zurückhaben wollen. In der zweiten Nachtwache muss die göttliche Gnade zusammen mit den Genien der Mäßigung, der Gerechtigkeit und der Klugheit gegen die Laster der Gier und des Geizes antreten. In der dritten Wache kommt der göttlichen Vorsehung die Aufgabe zu, den Schatz vor den höllischen Furien des Betrugs, der Tyrannei und des Götzendienstes zu schützen.

Die naive Hirtenhandlung gehört den Zwischenszenen an. Zunächst machen sich die Männer auf die Suche nach dem vermeintlichen Edelstein. Im zweiten Zwischenspiel werden sie von der „Bona Voluntas“ aufgeklärt, dass der Edelstein nur mit ihrer, des guten Willens Unterstützung gefunden werden könne. In der dritten „Scena Intercalaris“ werden die Hirten zum Stall in Betlehem geführt. Als sie in ihrer vierten Szene des „Schatzes“ ansichtig werden, kommt es zu den zitierten Überlegungen, was man dem Kind schenken wolle. Ganz am Schluss spricht die „Bona Voluntas“ ad spectatores: „Du aber, Zuschauer, was bietest du? Wenn du dein Herz gibst, gibst du alles, und du wirst zugleich diesen Schatz [= das Jesuskind] und mit dem Schatz alles besitzen.“ Ein musikalischer Ausklang beendet das Stück.

Der Autor Wolfgang Rinsweger

Der Autor des Stückes, Wolfgang Rinswerger (1658–1721) (im vorliegenden Band „Ringsperger“), trat 1676 ins in die Abtei Tegernsee ein und wurde 1683, ein Jahr nach seiner Priesterweihe, als Professor an das Salzburger Gymnasium abgeordnet. Ab 1698 wirkte er am Freisinger Lyzeum, bis er schließlich 1707 als Abt nach Michelfeld postuliert wurde. In diesem Amt starb er im Jahr 1721.

E Funere Phœnix

In Michelfeld wurde 1724 auch die Drucklegung von Rinswergers Dramen besorgt, also posthum, und zwar durch seinen Mitbruder Johannes Heigl (1685–1745) unter dem Titel „E Funere Phœnix“. Die „VIGILIÆ Betlehemiticæ“ entstammen dem ersten Band.

Der hier herangezogene Druck gelangte „dank“ der Auflösung der Dettelbacher Franziskaner-Bibliothek auf den Antiquariatsmarkt. Sein Erstbesitzer war übrigens die Abtei Ebrach.

 

 

Allen Leserinnen und Lesern des Oberpfälzer Klosterblog ein gesegnetes Weihnachtsfest!

 

„Si cor dabis, dabis omnia, simulque & hunc thesaurum & cum thesauro habebis omnia. Vale.“

 

 

Quelle:

Ringsperger [= Rinswerger], Wolfgang: VIGILIÆ Betlehemiticæ, in: ders.: E funere Phœnix. Sive operis posthumi Dramatum pars Ima ... (Hg. Johann Baptist Heigl) ..., Stadtamhof 1724, 237–264.

Kontakt:

Hinweis: Bitte die mit * gekennzeichneten Felder ausfüllen.