· 

Das Waldsassener Bibliotheksparkett

Pantoffel für Bibliotheksbesucher

Wenn man Thomas Hürlimanns Novelle „Fräulein Stark“ gelesen hat, weiß man um die Bedeutung von Bibliothekspantoffeln, auch wenn man noch nie in der Stiftsbibliothek in Sankt Gallen war. Wer sich für dieses sehr spezielle Objekt der Bibliothekskultur interessiert, kann aber auch in Waldsassen die Erfahrung machen, in solchen Fußbekleidungen an den Bücherwänden entlangzuschlurfen oder auch -zugleiten. Dazu gleich mehr.

Ein Foto von Hildegard Zenker

Den Anlass für diesen Blog-Beitrag gab wieder ein Online-Fund: eine 80 Jahre alte Fotografie der Waldsassener Klosterbibliothek von Hilde Zenker. Als Provenienz ist auf der Rückseite die „Reichsbahnzentrale für den Deutschen Reiseverkehr, Berlin“ vermerkt, die das Bild im Juli 1940 erwarb. Diese Einrichtung hatte die Aufgabe, für den Eisenbahntourismus zu werben, und konnte für diese Zwecke Fotografien wie die hier gezeigte gut gebrauchen.

Die Urheberin Hildegard Zenker war keine unbedeutende Fotografin. Ihre Arbeiten werden in der Berlinischen Galerie aufbewahrt. Die Kunststiftung Poll in Berlin widmete ihr zum 100. Geburtstag die Ausstellung „Eine Berliner Fotografin der 40er bis 60er Jahre“.

Hilde Zenker wurde 1909 in Weißenfels geboren, ließ sich zur Fotografie-Meisterin ausbilden und arbeitete in den 1940er Jahren als Bildberichterstatterin für die nationalsozialistische Blätter und an der Ostfront für das Rote Kreuz, wo sie in russische Kriegsgefangenschaft geriet. Nach dem Krieg lebte sie in West-Berlin und fotografierte für verschiedene Presseorgane, z. B. den „Berliner Tagesspiegel“, der ihr ihrem 100. Geburstag eine anschauliche Erinnerung widmete. Sie starb 1999 in Berlin.

Das Waldsassener Bibliotheksparkett

Hilde Zenkers Fotografie gehört zu den vielen professionellen Aufnahmen, die im Waldsassener Bibliotheksaal immer wieder gemacht werden. Der Blick des Bild-Betrachters wird stets unweigerlich von den prachtvollen Schnitzereien angezogen. Es lohnt sich aber, auch den Fußboden des Raumes zu beachten. Dort macht man nämlich eine Entdeckung, die für heutige Bibliotheksbesucher vielleicht überraschend ist. Zu sehen ist ein schlichtes Bretterparkett ohne nennenswerten handwerklichen Anspruch. Auch in Filmaufnahmen aus der Zeit um 1964 ist dieses deutlich zu erkennen. Erst danach wurde der heutige Fußboden verlegt.

In der architekturgeschichtlichen Interpretation des Saales von Baumgartl bleibt dieser Umstand unerwähnt. Friedrich schreibt vage: „Der Fußboden musste völlig erneuert werden, nachdem die Bibliothek im 19. Jahrhundert längere Zeit als Lagerraum gedient hatte.“ Architekturhistorisch authentisch ist die heutige Situation jedenfalls nicht. Kritisch äußert sich daher der Schweizer Architekt Pius Bieri auf seiner Website „Süddeutscher Barock“ zu der baulichen Veränderung:

„Das heutige moderne Tafelparkett wird dem Besucher al‚historischer Parkettboden' verkauft. Das Tragen von Filzpantoffeln ist Pflicht, obwohl die Abnützung für den Boden von Vorteil wäre. Das völlig ungegliederte und lackglänzende heutige Parkett zeugt keineswegs von einer gestalterischen Überlegung. Bretterböden in Bibliotheken des süddeutschen Barocks haben leider selbst bei Kunsthistorikern einen schweren Stand und werden vorschnell als Eingriffe des 19. Jahrhunderts bezeichnet. Sie sind aber in den klösterlichen Gebrauchsbibliotheken Usanz. Wo auf Repräsentation Wert gelegt wird, kommen meist Steinböden in Frage. Meisterhaft gearbeitte Parkettböden wie in St. Gallen sind grosse Ausnahmen.

Wahrscheinlich zeigt aber auch Hildegard Zenkers Aufnahme nicht den originalen Boden. Nicht nur wollen die sehr groben Bretter nicht recht zur gediegenen sonstigen Ausstattung passen. Nimmt man die Fotografie noch genauer unter die Lupe, erkennt man, dass die rahmenden Bodenbretter an den Schmalseiten profiliert sind und einen Überstand aufweisen.  Dieser deutet tatsächlich  darauf hin, dass ein ursprünglicher Holzbelag entfernt wurde und man anschließend lange Zeit auf den Dielen umherlief, die sich darunter befunden hatten  womöglich ein ganzes Jahrhundert lang, von der Zeit des Einzugs der Zisterzienserinnen bis ins spätere 20. Jahrhundert.

 

Lit.:

Baumgartl, Edgar: Stiftsbibliothek Waldsassen. Cisterciensische Geistigkeit am Beginn der Aufklärung (Große Kunstführer 157) München – Zürich 1989.

Friedrich, Verena: Die Bibliothek. Raum, Ausstattung und Dekoration, in: Pfister, Peter (Hg.): Die Zisterzienserinnen in Waldsassen. „Die auf den Herrn vertrauen, schöpfen neue Kraft“, Regensburg 2020, 239–253, hier: 249.

Hürlimann, Thomas: Fräulein Stark, Frankfurt/M. 52011.

Kontakt:

Hinweis: Bitte die mit * gekennzeichneten Felder ausfüllen.