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P. Wilhelm Elb (1674–1742) – Ein Speinsharter Chorherr im Ruf der Heiligkeit

Fortsetzung der Reihe anlässlich des Speinsharter Klosterjubiläums

Ein Speinsharter Sonderfall

Starb in der Frühen Neuzeit ein Chorherr im Kloster Speinshart, so verschickte man Todesanzeigen an diejenigen Klöster, mit denen eine Gebetsverbrüderung bestand. Dort wurden dann für den Verstorbenen ebenfalls Gebete gesprochen und Messen gelesen. Für diese Totenroteln verwendete man in Speinshart gedruckte Formulare, die innerhalb eines funeralrhetorisch gestalteten Begleittexts Leerstellen für den Eintrag eines Biogramms des Verstorbenen enthielten. Starb ein Abt, ließ man für ihn aber eine individuelle Rotel drucken. In einer vormodernen Version von McLuhans späterer Devise „Das Medium ist die Botschaft“ fungierten Traueranzeigen dadurch als Ausdruck der Statusunterschiede innerhalb des Konvents.

Als einzelner Chorherr ragt hier nun P. Wilhelm Elb in besonderer Weise aus dem Speinsharter Konvent hervor. Auch für ihn ließ man eine eigene Rotel drucken wie sonst nur für die Prälaten. Wie kam es dazu?

Elbs Leben

Wilhelm Elb wurde 1674 im Speinsharter Klosterdorf als Sohn des stiftischen Waldpräfekten geboren. Er besuchte zuerst die Schule am Ort, dann das Jesuitengymnasium in Amberg und schließlich die Universität Ingolstadt, wo er den für Geistliche üblichen Studiengang in Philosophie, Theologie und Kirchenrecht absolvierte. Im Jahr 1700 wurde er in Speinshart eingekleidet. Noch nicht einmal zum Priester geweiht, hatte er direkt nach der Ablegung seiner Gelübde 1701 die erste Philosophie-Professur im neu eingerichteten Speinsharter Hausstudium zu übernehmen. Später wurden ihm verschiedene andere Ämter übertragen – die Rotel nennt das des Zirkators (eine Art „Wächter“ über die Ordensdisziplin), Subpriors und Priors. Er starb im Jahr 1742.

Extreme Askese

Elb wird in der Rotel als ausgesprochen asketischer Mann charakterisiert. Der Autor berichtet – nicht ohne einen Hang zur Speinsharter Selbstdarstellung –: „Keineswegs genügte ihm die übliche Strenge des Ordens, die Gebete, Nachtwachen, verschiedene Übungen, Fasten und Enthaltsamkeit, auch wenn sie bei uns in all ihrer Strenge befolgt werden. Immer neue, seinem Eifer entsprechende und völlig ungewöhnliche körperliche Leiden bürdete er sich auf, die, obgleich sie das menschliche Maß überschritten und beinahe unzählig sind, zu wiederholen hier nicht der Raum ist ... Zu Mittag aß er nur die beiden ersten Gänge, am Abend aber gar nichts. An vier Körperteilen zerfleischte er sich unbarmherzig mit einer eisernen Geißel, dazwischen den Psalm Miserere [= Ps 51] und 20 Vater unser und Ave Maria betend. Den klebrigen Schleim, aus dem Mund anderer zu Boden geworfen, schrecklich schon im Anblick, pflegte er mit der Zunge aufzulecken und ... zu schlucken“.

Im Ruf der Heiligkeit

Verhaltensweisen wie diese lösen heute Ekel und Abscheu aus – ein extremes Beispiel nicht nur von Welt-, sondern auch von Selbstverachtung. Nach unseren Maßstäben ein klarer Fall für den Psychiater und keine vorbildliche Heiligmäßigkeit.

Die Prämonstratenser des 18. Jahrhunderts reagierten dagegen mit offenkundiger Bewunderung. Wegen seiner extremen Mortifikation starb Elb im Ruf der Heiligkeit. Das lässt sich beispielsweise den „EPHEMERIDES HAGIOLOGICÆ“ des Roggenburger Prämonstratenser-Abtes Georg Lienhardt entnehmen, einem Menologium, das zu jedem Tag des Jahres das panegyrische Biogramm eines heiligen, seligen oder sonst vorbildlichen Ordensangehörigen für die Tischlesung anbot. Die lateinische Version der „EPHEMERIDES“ wurde 1764 in Augsburg gedruckt, das Digitalisat des Manuskripts der deutschen Übersetzung ist online einsehbar. Wilhelm Elb wird hier unter dem 1. Mai, seinem Todestag, geführt.

Als Hauptquelle für diesen Eintrag diente Lienhardt die Rotel, deren Text er z. T. wörtlich übernahm. So hatten die Speinsharter mit der gedruckten Traueranzeige nicht nur die Gebetsleistungen in anderen Klöstern aktiviert und das Gedächtnis an Elb bewahrt, sondern auch die prämonstratensische Hagiographie befruchtet.

Aus postmoderner Distanz

Roteln haben nicht nur eine memoriale und biographische Aufgabe, sondern auch eine aszetisch-lehrhafte und pastorale. Sie sind Kommunikationsmittel eines „Netzwerks der Tugendhaften“ (Hirtner) und geben durch die Vorbildlichkeit von Lebensläufen und Verhaltensweisen wie durch Reflexionen über die irdische vanitas Impulse zur Nachahmung und Selbstreflexion.

Nachdenklich können sie heute immer noch machen, wenn auch wohl nicht in der ursprünglich intendierten Weise. Dem distanzierten Leser und der Leserin können sie womöglich Fragen aszetischen Charakters stellen wie diese: Ist es für uns in Gelassenheit hinnehmbar, dass man vor drei Jahrhunderten so anders dachte und bewertete? Überwiegen beim Lesen Ablehnung oder Mitleid? Ist unser Mitleid frei von Selbstgerechtigkeit? Haben wir Überlegenheitsgefühle für unsere Selbst-Bestärkung nötig? Wie weit sind wir den barocken Chorherren voraus? Mit welchem Recht können wir behaupten, es zu sein?

 

Lit. über Wilhelm Elb:

Lienhardt, Georg: EPHEMERIDES HAGIOLOGICÆ ORDINIS PRÆMONSTRATENSIS SEU QUOTIDIANA SANCTORUM, BEATORUM, OPINIONE SANCTITATIS AUT Heroica virtute illustrium Nivei Instituti Alumnorum MEMORIA, ACTA, ET ELOGIA..., Augsburg 1764, 124f.

 

Lit. über Roteln:

Hirtner, Gerald: Netzwerk der Tugendhaften. Neuzeitliche Totenroteln als historische Quelle (Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige. 48. Ergänzungsband) Sankt Ottilien 2014.

Ders.: Die frühneuzeitlichen Totenroteln der Oberpfälzer Stifte. Überlieferung, Strukturen, Aussagen, in: Mors. Tod und Totengedenken in den Oberpfälzer Klöstern. Symposion vom 20. bis 21. Juni 2018 in der Provinzialbibliothek Amberg (Hgg. Georg Schrott/Christian Malzer) Amberg – Kallmünz 2019, 137–177.

 

Abbildung:

Provinzialbibliothek Amberg: 2 Ms. 39(3, fol. 98r.

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